Interview mit Selina Lauener und Sonja Koch

Das Spiel mit den Vorurteilen

Selina Lauener und Sonja Koch sind vom 23. Mai – 25. Mai 2022 mit ihrem «Vorurteils-Orakel» zu Gast auf dem Bahnhofplatz in Bern. Das Schwerpunktthema des Standortes ist «Sans-Papiers». Neben Diskussionen rund um das Thema Vorurteile bringt das mobile Kunstwerk im öffentlichen Raum auch einen spielerischen Aspekt mit – im «Vorurteilsgenerator» können die Besucher*innen auswählen, welcher Gruppe sie sich zugehörig fühlen. Daraufhin werden die Besucher*innen vom Generator mit passenden Vorurteilen konfrontiert, die im Vorfeld des Projektes gesammelt wurden. Diese Vorurteile können Sie als Besucher*in danach in den Abfall werfen, darüber sprechen, an den Nagel hängen, nach Hause nehmen – oder auch darüber lachen. Vorurteils-Orakel (vorurteilsorakel.ch)

Das Interview führt Susanne Grädel, Kommunikationsverantwortliche der offenen kirche bern.

Susanne Grädel: Was ist euer Background?

Selina Lauener: Ich habe Kunstvermittlung studiert an der HKB. Ich arbeite seither als freischaffende Kunstvermittlerin und Lehrerin und habe mich spezialisiert auf partizipative Kunstprojekte.

Sonja Koch: Ich mache Ausstellungen und habe in Basel Innenarchitektur und Szenografie studiert. Ich bin ebenfalls selbstständig, mache einerseits Auftragsarbeiten und andererseits eigene Projekte, die im öffentlichen Raum stattfinden.

SG: Wie ist das Projekt «Vorurteilsorakel» entstanden?

SL: Sonja und ich haben beide zu den Themen Diskriminierung und Rassismus gearbeitet. In diesem Zusammenhang sind wir immer wieder über das Thema Vorurteile gestolpert. Es ist ein spannendes Phänomen, welches aus den Köpfen der Menschen nicht wegzudenken ist. Die Idee zu einem Projekt zu diesem Thema im öffentlichen Raum begleitete uns von Anfang an.

SK: Ergänzend kann ich sagen: Selina bringt das Partizipative und Künstlerische mit und ich die Szenografie und die Arbeit im öffentlichen Raum. Da dachten wir: Das bringen wir jetzt zusammen!

SG: Wie wichtig ist es für das Projekt, dass es an verschiedenen Standorten stattfinden kann?

SK: Über Themen, die gesellschaftsrelevant sind und ganz viele Menschen betreffen, muss man immer und immer wieder sprechen. So kann man nicht an einem Ort bleiben, sondern man muss wandern, zu den Menschen gehen und mit ihnen sprechen. Das ist der Grundgedanke dahinter.

SL: Wir möchten mit dem Vorurteilsorakel herausfinden, ob und wie sich die Diskussion über Vorurteile an den verschiedenen Standorten wie beispielsweise im Einkaufszentrum oder am Bahnhofplatz und in den verschiedenen Städten unterscheiden. Die Idee ist, dass wir die Gedanken der Menschen dazu sammeln und sie je nach Ort miteinander vergleichen können.

SG: Was interessiert euch am Thema «Vorurteile»?

SK: Mich fasziniert es, wie tief das Thema in uns sitzt. Es betrifft uns alle und schwingt im Alltag mit. Vorurteile können zu Ungerechtigkeit und Diskriminierung führen. Deshalb finde ich es wichtig, darüber zu sprechen. Zudem ist es ein sehr niederschwelliges Thema – man kommt sehr schnell mit Menschen darüber ins Gespräch.

SL: Für mich ist es ein sehr ambivalentes Thema. Vorurteile können auch sinnvoll sein für uns und unser Gehirn. Wir alle haben sie – sie gehören zum Menschsein dazu. Und doch führen sie zu Diskriminierung. Diese Ambivalenz finde ich spannend. Manchmal hat das Thema auch eine humorvolle Komponente, trotz dessen Ernsthaftigkeit.

SG: Was möchtet ihr mit dem «Vorurteilsorakel» bei den Menschen auslösen?

SL: Vor allem eine Sensibilisierung dafür, wie stark wir in Vorurteile denken und dass alle Menschen Vorurteile haben. Und wichtig ist für uns, das Gespräch mit Menschen zu suchen und darüber zu sprechen, wie man kreativ mit Vorurteilen umgehen und sie abbauen kann.

SK: Pro Standort haben wir ein Schwerpunktthema, über das wir informieren möchten. In Bern ist das «Sans-Papiers». Dazu führten wir im Vorfeld mit betroffenen Menschen das Gespräch. Mit dem Schwerpunktthema möchten wir einen Spiegel vorhalten.

 

Das Vorurteils-Orakel ist Teil des Projektes Beim Namen nennen

Interview mit Laura Schuler

Für die Musikerin Laura Schuler ist es das dritte Mal, dass sie bei «kunst kreuzt weg» mit dabei ist. Sie spricht in diesem Interview über ihren Bezug zum Kreuzweg, wie ihr diesjähriges Musikstück entstanden ist und warum hinter der Station «ins Grab legen», die sie dieses Jahr bespielt, eine persönliche Geschichte steckt.

Das Interview führte Susanne Grädel, Kommunikationsverantwortliche bei der offenen kirche bern.

 

Susanne Grädel: Was reizt dich als Künstlerin am Kreuzweg?

Laura Schuler: Ich habe nicht in dem Sinne einen religiösen Hintergrund. Die Themen der verschiedenen Stationen stehen für mich archetypisch für das Leben. Bei jeder der Stationen, die ich bespielte, stellte ich einen persönlichen Bezug zu meinem Leben her. Dieses Jahr entschied ich mich für die Station «ins Grab legen», weil sie der Abschluss des Weges darstellt und in der Heiliggeistkirche steht. Die Kirche zu bespielen, reizte mich.

Susanne Grädel: Hat die Station «ins Grab legen» auch einen persönlichen Hintergrund für dich?

Laura Schuler: Nachdem ich mich für diese Station entschied, ist meine Grossmutter gestorben. Das führte dazu, dass ich mich mit diesem Thema nochmal intensiver beschäftigt habe. Ich hatte nicht das Gefühl, dass meine Grossmutter nach ihrer Abdankung für immer weg sei. Sie war noch da. Der Tod beinhaltet auch die Geburt in sich. Ich glaube, wenn wir sterben, treten wir in einen anderen Zustand über und kommen an denselben Ort, aus dem wir auch geboren wurden – ohne, dass ich diesen benennen könnte. Ich arbeite gerne mit dem Begriff «Energie», für mich ist alles Energie. Wenn ein menschlicher Körper stirbt, ist die Energie des Menschen trotzdem noch da.

Susanne Grädel: Wie hast du das in deinem Musikstück umgesetzt?

Laura Schuler: Zufälligerweise einen Tag vor der Abdankung meiner Grossmutter habe ich ein freies Improvisationsstück in der Heiliggeistkirche aufgenommen. Deswegen widmete ich dieses Stück meiner Grossmutter. Während dieser Improvisation habe ich all die Gefühle, die ich mit dem Thema und der bevorstehenden Abdankung verband, einfliessen lassen. So wurde mein Werk zu einem sehr persönlichen. Ein Ausschnitt davon ist nun in der Station «ins Grab legen» zu hören.

Susanne Grädel: Was für ein Gefühl möchtest du den Zuhörer*innen, die dein Werk in der Heiliggeistkirche hören, mitgeben?

Laura Schuler: Für mich stellt die Musik eine Verbindung zur spirituellen Welt her und so auch zu der Welt, wo die Menschen hingehen, wenn sie sterben – eine Art Jenseits. Meine Botschaft ist: Hört Musik! Nicht nur meine, sondern jede Art von Musik. Denn Musik hilft uns, uns auf spirituelle Erfahrungen einzulassen. Ich finde, Musik ist eine Brücke zu den Emotionen und zum Unterbewusstsein. Dies ist der Hauptantrieb für mich, Musik zu machen. Musikmachen ist ein Instrument für mich, das ich anwende, um mich spirituell weiterzuentwickeln und immer wieder mit der spirituellen Welt Kontakt aufzunehmen. Musik hilft mir, mein Ego hinter mir zu lassen und mich immer mehr mit dem zu verbinden, was ist. Aus diesem Grund arbeite ich auch sehr gerne mit Improvisation. 

 

Das improvisierte Geigenspiel von Laura Schuler ist noch bis am 16. April 2022 bei «kunst kreuzt weg» zu hören. Oder online auf www.kunstkreuztweg.ch